20/04/2022

Warum Zeitmangel oft eine Ausrede ist.

Und wie du mit einer neuen Perspektive die Uhr zu deinem Freund machst.

Ich drehe den Schlüssel im Schloss um, öffne die Wohnungstüre, taste den Lichtschalter links an der Wand. Mist.. Die kaputte Glühbirne. Die wollte ich austauschen. Seit drei Wochen. 

Seit sechs Wochen will ich meinen Vater besuchen. Seit drei Jahren den Kleiderschrank ausmisten, seit März endlich mal wieder auf den Golfplatz. 

Ich habe keine Zeit. Flüstert mein Gehirn und lügt mich schamlos an, während ich die Schuhe ausziehe, mich aufs Sofa setze und auf dem Handy checke, wie der FC Zürich gespielt hat. 

Wie oft würdest du ja so gerne xy machen (setze beliebiges in die Klammer ) ABER du hast keine Zeit?

Kennst du das auch? Das Gefühl von Stress, weil die Zeit für deine Pläne nicht reicht?

Stell dir vor, ich schenke dir 12 Stunden täglich zusätzlich. Würde das reichen? Ginge es dir besser? Oder wie schnell hättest du erneut das Gefühl, jemand dreht an der Uhr?

Ich muss dich leider enttäuschen, es liegt nicht an der knappen Zeit, wenn du nicht alles unter einen Hut bekommst (ausser du hast fünf Kinder, einen Hund , drei Kaninchen und noch einen bezahlten Job) und ich meine Glühbirne nicht ausgetauscht bekomme. 

Wir lügen uns selber in die Tasche, wenn wir sagen wir hätten zu wenig Zeit. 

Die Wahrheit ist, dass wir gestresst sind, weil wir Zeit falsch bewerten, falsch nutzen und eine völlig unrealistische Vorstellung davon haben , was wir in 24 Stunden alles zu leisten haben. 

 

Übrigens ist die Ausrede keine Zeit zu haben ein Glaubenssatz aus unserem Unterbewusstsein. Es gaukelt uns das vor keine Zeit zu haben, damit wir uns besser fühlen und auch weil es gesellschaftlich total in Ordnung ist gestresst zu sein. 

Die Spezies gelangweilter Mensch ist ausgestorben.

Ganz ehrlich, kennst du persönlich jemanden, dem öfter mal langweilig ist?  Sogar die meisten Rentner*innen sind gestresst und dauerbeschäftigt, so lange sie gesund und mobil sind. 

Was hat es also mit der Knappheit dieses wertvollen Guts Zeit auf sich?

 

Ich habe ein paar interessante Aspekte für dich zusammengetragen. 

Die helfen dir dabei den ewigen Kampf gegen die tickende Uhr loszulassen und Zeit zu deinem Freund zu machen.

1. Zeitmangel als immaterielles Statussymbol: ich bin gestresst, also bin ich. 

“Ach du arbeitest jetzt halbtags?” ruft der Kollege dem anderen hinterher, der um 17.00 Uhr das Büro verlässt und seit um 9 Uhr gearbeitet hat. “Nein, ich habe einen Termin beim Zahnarzt.” lacht dieser zurück. 

 

Na gut. Das ist akzeptiert. Alternativ wäre in Ordnung, den Sprössling von der Kita abzuholen, die Mutter zum Flughafen zu bringen oder eine neue Wohnung zu besichtigen. Aber bitte liefere einen triftigen Grund, wenn du keine Überstunden machst. 

 

Gestresst zu sein, von Termin zu Termin hetzen und sich überarbeiten finden immer noch (zu) viele Menschen anerkennenswert. Wir werden durch unseren Alltag geschleudert und je höher die Drehzahl, umso mehr Menschen klatschen am Rand. Ist das nicht irre?

 

Anders herum gesagt: was hältst du von Menschen, die öfter und völlig unbegründet einfach nichts tun. Chillen. In der Nase bohren. Träumen. Lange schlafen. Nichts leisten. Uncool oder? Aber leisten sie tatsächlich nichts?

 

 Regelmäßige Phasen des Nichtstun sind für unser Hirn so gesund, wie es ein veganer 500g Teller im Restaurant Hiltl nie sein könnte. 

 

Sportler kennen den positiven Effekt der Regeneration auf körperliche Ebene. Nur wer sich Erholung gönnt, gibt dem Körper die notwendige Zeit, sich an die steigenden Anforderungen anzupassen. Das gilt auch für geistige Erholung. 

 

Wenn wir nichts tun, wird unser Ruhezustandsnetzwerk aktiv. Diese Gruppe aus Gehirnregionen werden mit Tagträumerei, Zukunftsplanung und Kreativität in Verbindung gebracht. Funktionsstörungen dieses Netzwerks sollen mit Alzheimer-Krankheit und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom zu tun haben. 

 

Nichtstun ist also viel cooler und gesünder, als du vielleicht dachtest.  Schlafen gehört übrigens auch zu der – für unser Hirn – so wichtigen Ruhephase. 

 

2.  Wir wollen die volle Kontrolle

Warum helfen wertvolle Zeitmanagement-Tools  nur bedingt gegen das Gefühl keine Zeit zu haben?

Egal ob ALPEN-Methode oder Pomodoro-Technik, diese Strategien unterstreichen lediglich  das Bedürfnis Zeit und damit dein Leben kontrollieren zu können. Du kannst sie sehr effektiv einsetzen um sicherzustellen, dass das Leben einen bestimmten Weg geht. Du kontrollierst den Uhrzeiger und optimierst deine Abläufe. 

Doch was machst du, wenn das Kind krank, ein Projekt vorgezogen wird oder der Zug Verspätung hat?

Dann heisst es nämlich Akzeptanz üben und die Stresssituation annehmen, anstatt sie kontrollieren zu wollen. 

Den Alltag  bis ins kleinste Detail durch zu takten und sich zum Sklaven des Kalenders zu machen, kann eine Form von Organisation sein.  Es  kann dich aber auch in einen Zustand mentaler Gefangenschaft versetzen, der dich davon abhält, dich lebendig zu fühlen. Und dieser Zustand stresst.

Je weniger du kontrollieren willst, desto mehr entspannen sich dein Körper und Geist. Und je mehr du dich entspannst, desto mehr Zeit hast du gefühlt. Also planen ja, kontrollieren nein. 

Du bist ein Mensch, der sein Bestes gibt und keine Maschine. Sag dir das. Immer wieder.

 

3. Der Feind in unserer Hosentasche.

Du bist süchtig. “Hey, du kennst mich ja gar nicht nicht”, denkst du dir vielleicht. Das stimmt. Aber ich kenne die Statistiken. Und wenn du nicht eine große Ausnahme bist, geht es dir wie der Mehrheit. 

Die Mehrheit greift durchschnittlich 80 Mal am Tag zum Handy um täglich 3,5 Stunden ins Display zu glotzen. Im Schnitt!

Wie ist das bei dir?

Ist der erste Griff nach dem Aufwachen auch der zum Handy? Twitter checken? Durch Instagram Stories wischen und schauen, was sich über Nacht getan hat?

So geht es dann munter den Tag weiter, das Handy immer in Reichweite.

Warum lassen wir das mit uns machen? Es sind die Hormone, genauer gesagt der Botenstoff und das Glückshormon Dopamin, das uns ständig zum Handy greifen lässt. 

 

In deinem Smartphone sitzen ( wie die Zeitdiebe im Roman “Momo”) schlaue App-Entwickler, geschäftstüchtige Werbetreibende und eine ganze Industrie, die permanent eines wollen und auch bekommen: deine Aufmerksamkeit!

Sie wissen, dass Dopamin ausgeschüttet wird, wenn wir ans Handy gehen um Nachrichten zu checken, durch die Timeline zu scrollen oder Likes zu ergattern. Sie wissen, dass uns das glücklich und süchtig macht. 

Der Teufelskreislauf funktioniert so: Du schaust auf dein Handy. Dein Dopaminspiegel steigt. Du bist happy. Dein Dopaminspiegel sinkt. Du schaust auf dein Handy usw. 

Aus dieser Gewohnheit wird schnell eine Sucht, die dich täglich mehrere Stunden in Beschlag nimmt. Zeit, die dir an anderer Stelle fehlt.

Willst du dir wirklich so leicht deine Aufmerksamkeit rauben lassen? Oder vielleicht einen neuen, bewussteren Umgang mit dem Handy ausprobieren?

 

4. Zeitfresser Kommunikation

 

Dein erster Tag früh morgens im Büro nach zwei Wochen Ferien. An was denkst du? Ahnst du schon was jetzt kommt? Naaaa..?

Genau: dein überfülltes Outlook Postfach mit ungeöffneten Emails wartet auf dich. Wieviel Zeit planst du zum Öffnen von 100 Emails? Zwei Stunden? Oder drei? Und wie lange hättest du effektiv gebraucht, wenn du nur die Nachrichten gelesen hättest, die für dich relevant sind? Wir verstehen uns. Das leidige cc-Drama..

 

Wenn Diskussionen in Meetings nicht enden wollen

 

Gewitzelt wird in diesem Kontext gerne über Elternabende. Alles ist besprochen, alle wollen nach Hause, rutschen ungeduldig auf den Kinderstühlen herum und dann: “Herr Egli, ich hätte da noch eine Frage , mein Kind hat eine Laktoseintoleranz und darf auf keinen Fall Butterbrote der Klassenkameraden essen. Wie können wir das regeln?” 

Auch  im beruflichen Umfeld kennst du bestimmt solche Helden, die jedes vernünftige Meeting plötzlich unendlich in die Länge ziehen können. 

“Ich habe noch eine Frage zu Punkt 2…” Ja genau, Punkt 2 war vor einer Stunde dran. Da gibt es Menschen, die schwadronieren sich um Kopf und Kragen und dir bleibt nichts anderes übrig, als ungeduldig mit den Hufen zu scharren und gedanklich das Messer zu wetzen. 

 

Ineffiziente Kommunikation ist das zeitraubendste, was man sich vorstellen kann. Allein darüber wurden Bücher geschrieben und ich kann dir an dieser Stelle nur empfehlen: 

Sag klar was du willst. Und was du nicht willst.

Wehre dich gegen übergriffiges Blabla und trau dich ruhig mal zu sagen: “Kannst du bitte auf den Punkt kommen? Ich habe Besseres zu tun.”

 

Zeit haben ist eine Illusion. Sie gehört uns nicht. Wir können nur Zeit lebendig gestalten, Prioritäten setzen und den Lauf der Dinge annehmen. Das ist die einzige Alternative zu “keine Zeit haben”.

 

Geh jetzt hin und lass dich nicht mehr von der Ausrede blenden. 

Reiss deinen Kolleginnen das Handy aus der Hand, wehre dich gegen zeitfressende Kommunikation und entspann dich. Mach auch mal nichts. 

Du hast Zeit!

Dieses Gefühl und diese Überzeugung wünsche ich dir. Und maximal viel Zeit für die Begegnungen im Leben, die wirklich wichtig sind. Auch die, mit dir selbst. 

Blib dra und heb dir Sorg. 

Dein Bruno